Über die Ereignisse in Österreich, mit den Eseln und Mulis, wie auch die menschlichen Begegnungen berichten Judith Schmidt und Nina Heidenreich

Da Judith in den letzten Monaten viele Anfragen aus Österreich bekam, ob es möglich sei, sie privat zu buchen, damit sie Esel vor Ort trainieren und die Besitzer beraten könnte, plante sie dieses Vorhaben in Form einer „Österreich-Eseltrainings-Tour“. In ihrem Newsletter wies sie u.a. auf diese Unternehmung hin und darauf fragte Nina Heidenreich, die im Sommer 2013 Teilnehmerin einer ihrer Kurse war, ob sie Judith dabei begleiten könnte.

Judith ist eigentlich eher eine Eigenbrötlerin und schlägt stets auch sämtliche Praktikanten-Anfragen aus. Aber in diesem Fall war das was anderes, denn

 

a) kannte Judith diese Nina zwar nicht wirklich gut, aber sie war ihr in sympathischer Erinnerung geblieben,

 

b) außerdem war sie Hufpflegerin mit einer Zusatzausbildung für Esel und könnte bei der Tour auch ihren Beitrag für die Kunden leisten und

 

c) würde die Reise mit Sicherheit kein reines Zuckerschlecken werden. Da wäre es hilfreich, einen Beifahrer zu haben, der navigiert, telefoniert und unterhält.

 

Judith prophezeite aus ihrer bisherigen Erfahrung von privaten Trainings vor Ort, dass Ninas Fähigkeiten als Hufpflegerin mit Sicherheit mit Kusshand angenommen werden, es aber kein leichter Job werden würde, da viele Esel wohl schlecht bis gar nicht brav die Hufe geben und sie es mit zum Teil schrecklichen Hufen zu tun bekommen würde.

Auch Judiths Warnung, dass die Tour was Verpflegung und Unterkunft angeht, eher spartanisch ausfällt, denn geschlafen würde im Auto oder Zelt und warmes Essen würde mit Hilfe eines Gaskochers zubereitet, schreckte Nina nicht ab.

Judith ist halt gerne unabhängig und als Vegetarierin in unserer Wohlstandsgesellschaft auch nicht ganz leicht zu bewirten. Aber all diese Einschränkungen bereiteten Nina keine Probleme.

Am Sonntagmorgen den 15. Juni 2014 schnurrte Judiths Motor los und der Transit beförderte sie Richtung Odenwald, wo Nina samt ihrem Gepäck eingesammelt wurde.

 

Bei der abendlichen Rast in Niederösterreich legten die Frauen ihren mitgebrachten Proviant zusammen und stellten zufrieden fest, dass sie auch drei Wochen am Stück unterwegs sein könnten, ohne den Hungertod erleiden zu müssen.

 

Hier eine kleine Zusammenfassung, was unterwegs an- und auffiel:

  • 10 Tage unterwegs – von Sonntag, den 15. Juni 2014 um 09:00 Uhr bis Dienstagnacht, den 24. Juni 2014 um 01:15 Uhr
  • in dieser Zeit 3023 km gefahren
  • Höhenmeter von 213 m bis 1013 m
  • 8 Übernachtungen – davon 5x im Auto, 1x im Hotel und 2x bei Kunden im Gästezimmer
  • 11 Höfe gesucht und gefunden – davon 2x ohne Umschweife vom Navi (ein Hoch auf das TomTom), 7x durch gemailte Wegbeschreibungen (die Kunden hatten im Vorfeld schon gesagt, dass ein Navi die Adresse nicht finden wird) und 2 Telefonate, die uns bis vor die Haustür lotsten
  • 30 Tiere trainiert und/oder eine „Fußpflege“ verabreicht – davon 27 Esel, 1 Maultier und 2 Ziegen
  • davon 3 Rasse-Esel – 1 Baudet de Poitou und 2 Âne de Provence
  • 1 Esel der Noteselhilfe e.V.
  • 19 Menschen beraten/trainiert – davon 16 Frauen und 3 Männer
  • 17x kam Hufpflegerin Nina Heidenreich zum Einsatz – davon 14 Esel, 1 Maultier und 2 Ziegen
  • auf jeden Fall eingepackt, aber in der Gepäck(un)ordnung nicht auffindbar – 1 Zeckenzange, 2 Handtücher und 1 Waschlappen – erst am Ende der Tour beim Auspacken wiederentdeckt
  • im Gepäck verloren geglaubt und 2 Tage später doch wiedergefunden – 1 Zahnbürste, die zwischenzeitlich allerdings an einer Raststätte nachgekauft wurde
  • Verköstigung durch die besuchten Kunden – 3x ein 3-Gänge-Menü, 1x Mittagessen, 2x Abendessen, 3x Frühstück, 2x Kuchen und jede Menge Ribiselsaft (Johannisbeersaft)
  • sonstige Verköstigung – Tütennudeln, Suppen, Nüsse, Obst, Wasser, Tee, Kaugummi, Knäckebrot, vegetarische Wurst, 2x Eis für unterwegs gekauft, 1x in einer Raststätte gefrühstückt, 1x in einer Raststätte zu Abend gegessen, 1x Pommes Frites bei Mc Donalds gegönnt, 1x mit Kunden in einem Gasthaus Käsespätzle gegessen (Judith & Nina haben sich tapfer geschlagen, aber die Portion war zu groß und sie haben, wie der Kellner mit einem Lächeln richtig feststellte, aufgegeben)
  • besuchte (Bundes)Länder – Niederösterreich, Steiermark, Kärnten (extreme Verständigungsschwierigkeiten für Judith & Nina), Salzburg, Oberösterreich, ein kurzer Abstecher nach Bayern, Tirol und auf dem Heimweg durch die Schweiz nach Baden-Württemberg
  • 3 österreichische Kunden waren ausgewanderte Deutsche – daher überraschend gute Verständigung
  • bei 9 von 11 Kunden am Ende des Trainings das Honorar falsch abgerechnet – stets zu Judiths Ungunsten – und immer vom Kunden entweder sofort oder kurze Zeit später auf der Weiterreise per SMS darauf aufmerksam gemacht worden
  • einen wichtigen Gegenstand bei einem Kunden fast vergessen, wenn dieser uns nicht daran erinnert hätte
  • Huferkrankungen bei den Tieren – fast alle hatten Hufpilz, 4x Strahlfäule, oft White-Line-Disease, 1 durch Nina aufgeschnittenes Hufgeschwür, 3 alte Hufgeschwüre und etliche Einblutungen gefunden, Fehlstellungen der Hufe (Bockhuf, zu flach und auch bananenförmig, aber keine Schnabelhufe), 1x zu enge Hufeisen abgenommen
  • andere Erkrankungen bei den Tieren – fast alle Esel waren viel zu dick, 1x entzündetes Zahnfleisch (dieser Esel war etwas zu dünn), 2x Patellaluxation (einmal derart extrem, dass Judith & Nina zweifelten, ob dies wirklich schmerzfrei für den Esel war), 3x Hautpilz, 2x Senkrücken, 1x Kipphals und fast alle Tiere hatten Probleme mit Kriebelmücken
  • 3 Kunden berichteten, dass ihre Esel bereits Schafe/Ziegen gejagt, schwer verletzt und/oder zum Teil auch getötet hatten, obwohl die Tierarten getrennt gehalten wurden, aber manchmal gelangte halt doch ein Schaf/eine Ziege unglücklicher Weise in das Eselterrain
  • menschliche Blessuren – 3x von Hufen getroffen worden (aber alles zum Glück glimpflich verlaufen), 1 Zeckenbiss, Sauerstoffmangel als Judith auf 1013 m kletterte, um auf den letzten, für ein Auto untauglichen, Metern zu den Tieren zu gelangen
  • häufigste Trainingsfragen – wie schaffe ich es, dass mein Esel beim Spazierengehen nicht ständig frisst, wie schaffe ich, dass mein Esel mit mir geht
  • Trainingsthemen – vom Basiswissen wie Pflege, Haltung und Fütterung, über den Einsatz für tiergestützte Aktivitäten, bis hin zu Zirkustricks war alles mit dabei
  • ausgelieferte Produkte, die die Kunden vorab beim Hersteller bestellt und bezahlt hatten und bei Judith gelagert wurde – Packsättel (Bâturin und Bâlissandre), Packtaschen, Sattelpads, Kindersitz (Baladou), Fressmaulkörbe, Heunetz mit 2 cm Maschenweite und diverse Esel-Universalhalfter in den unterschiedlichsten Farben
  • beim Kunden wurden Packsättel und Halfter vor Ort sofort erklärt, angepasst und ausgetestet
  • Wetter – 1 Schauer, 1 Tag Dauerregen und die restlichen Tage trocken bis hin zu strahlendem Sonnenschein mit 28°
  • menschliche Hygiene – 4x geduscht, ansonsten mit kaltem Wasser (manchmal auch aus der Wasserflasche) gewaschen
  • 3x von wildfremden Menschen auf das Logo, welches das Auto und Kleidung zierte, angesprochen worden und erklärt, dass Judith & Nina kein Zoo, kein Zirkus und keine Züchter seien, sondern Eseltrainerin und Hufpflegerin sind
  • an der Schweizer Grenze – auf die Frage des Zollbeamten, was im Auto transportiert würde, erklärte Judith, dass sie Eseltrainerin sei und als dieser weiter fragte, ob sie 2- oder 4-beinige Esel trainieren würde und als Antwort „Beides“ kam, wurden sie mit einem Lächeln durchgewinkt
  • 4x unterwegs Radio gehört, als das Wetter kurzzeitig zu Wünschen übrig ließ – Hörbücher und Musik, die Judith & Nina mitgenommen hatten, fielen der Lust sich zu unterhalten zum Opfer – Nina meinte gegen Ende der Tour, als Judith von ihrem Roman berichtete, an dem sie schon längere Zeit schreibt: „Wenn man mit Judith fährt, braucht man kein Hörbuch.“
  • ansonsten – ein Rehkitz bei Kunden bestaunt, welches mit der Flasche aufgezogen werden musste, eine todesmutige (alte?) Katze, die partout nicht von der Straße gehen wollte, als der Transit angefahren kam, eine andere Katze, die die ganze Nacht mit Judith im Gästebett geschlafen hatte (worüber Judith sehr glücklich war, denn die 10 Katzen, die Zuhause auf ihre Rückkehr warteten, vermisste sie sehr), Bücher zum abendlichen Zeitvertreib mitgenommen, aber meistens durch lange, spannende, lustige, rührende, traurige und erkenntnisreiche Gespräche ersetzt, einige Zeit gegrübelt, an welch riesigen See der Weg vorbeiführte, bis es wie Schuppen von den Augen fiel, dass es sich um den Bodensee handeln musste, auf Berggipfeln Schnee gesehen, die herrliche Luft und wunderschöne Aussicht in vollen Zügen genossen
  • aufgefallen ist, dass Österreicher wenig blühende Blumen haben, sondern eher grüne Wiesen bevorzugen, die einem Teppich gleichen
  • Vereine – die IA Austria war den meisten Kunden nicht bekannt, demnach auch nicht die IGEM, aber Judith & Nina haben kräftig die Werbetrommel gerührt
  • daraus gewonnene Erkenntnis – die IGEM, die ja schon etliche Jahre länger besteht, als die IA Austria, hat in den letzten 25 Jahren enorm viel an Aufklärungsarbeit geleistet. Österreich hinkt da noch hinterher
  • es gab viele verzweifelte Kunden, die gerne bessere Beratung in ihrem Umfeld und vor allem einen Hufschmied, -pfleger oder -techniker hätten, der nicht nur gute Arbeit leistet, sondern auch freundlich mit den Tieren umgeht. Die Tragik war, dass der gute Wille und selbst das Wissen der Halter meist vorhanden war, sie aber selten handeln konnten, da niemand in der Nähe war, der hätte helfen können. Ob Tierärzte, Hufschmiede oder Eselkurse … dies alles ist Mangelware in Österreich und so wird dies wohl nicht die letzte Österreichtour seitens Judith & Nina gewesen sein. Vielleicht ist bei der nächsten Planung auch Judiths fachkundige Eseltierärztin mit dabei … mal schauen, wie es weiter geht.

 

Eseltrainerinnen Fazit:

Es war eine spannende Reise mit unendlich vielen Eindrücken, die ich erst einmal verarbeiten musste. Es gab erschreckende Aussagen, seitens der Halter, z. B. dass der Vorbesitzer seinem Esel verschimmelten Apfelsaft zum Trinken gab, Pferdedentisten, die ein komplett entzündetes Zahnfleisch über das gesamte Gebiss als vollkommen normal im Zahnwechsel deuteten und Eselhalter, die der Meinung waren, dass es vollkommen ausreicht, wenn 1x im Jahr die Eselhufe mit der Zange abgeknipst werden.

Aber natürlich auch schöne Einblicke in die Eselhaltung, wo sich die Besitzer echt ins Zeug gelegt haben, ihren Lieblingen Bestmöglichstes zu bieten.

Außerdem hat sich auf der Fahrt die anfängliche Sympathie zu Nina in eine Freundschaft verwandelt, die ich nicht mehr missen möchte.

 

Hufpflegerinnen Fazit:

Nach vielen Mails vor der Tour, hatte ich das Gefühl, Judith versuchte mir ein bisschen das Ganze auszureden, somit „Wir schlafen im Auto, Essen wird selbst zubereitet, ach so und Duschen müssen mir mal schauen“ und ich dachte nur „Judith, alles gut, basst scho“.

Natürlich machte ich mir meine Gedanken, wie, wo schlafen im Auto, denn es hieß wirklich jeden Abend Auto umräumen, damit ich eine Liegefläche im Laderaum hatte – Judith schlief nämlich vorne auf der Fahrersitzbank. Dies hatte aber den Vorteil, dass ich sehr schnell wusste wo was war, wenn es beim Kunden hieß: das Equi Life Maßband zur Gewichtsermittlung des Esels, das Universal-Eselhalfter, der Coat King zum Fellwechselstriegeln …

Als Judith mir dann von ihrer Eigenart erzählte, eigentlich keine Praktikanten zu nehmen, war ich sprachlos bzw. zum Glück war ich sympathisch in Erinnerung geblieben.

Für so einen Trip muss man schon verrückt sein, da es wirklich eine Hardcoretour war, denn zwischen den einzelnen Kunden blieb nur Zeit um zum nächsten Eselbesitzer zu fahren. Also nichts mit mal durchatmen. Es war eine unglaubliche Tour die alles von uns abverlangte. Abends, romantisch am Gaskocher, tauschten wir unsere gemeinsamen Erlebnisse aus.

Es waren so viele Eindrücke, so viel Dankbarkeit der Besitzer und so viel Wertschätzung, ich kann gar nicht alles aufzählen. Die Heimfahrt war für mich auf der einen Seite Freude und auf der anderen Traurigkeit. Viele Fragen stellten sich mir „Wer schaut jetzt nach den Hufen? Wie bekommen die die einzelnen Probleme in den Griff? Denn ich bin nicht einfach mal schnell in Österreich.“

Als ich nach Hause kam fühlte ich eine große Leere. Ich brauchte erst meine Zeit mit langen Ausritten um alles zu verarbeiten.

Falls so eine Tour jedoch nochmal gestartet wird … ICH BIN DABEI!


Text und Fotos:

Nina Heidenreich und Judith Schmidt

eMail: nina1082@web.de

www.ninashufpflege.de

eMail: schmidt.judith@gmx.de

www.eselworkshop.com